Schmerzliche Erfahrungen

Warum seelische Verletzungen krank machen

Jemand erleidet einen schmerzlichen Verlust, macht eine schmerzliche Erfahrung oder spürt ein schmerzliches Verlangen – der allgemeine Sprachgebrauch bringt seelische Belastungen mit Schmerzen in Verbindung. Körperlicher und seelischer Schmerz haben mehr als nur den Begriff gemeinsam: Sie aktivieren auch im Gehirn die gleichen Bereiche. Das hat ein Forscherteam der Universität Los Angeles mit eindrucksvollen Studien herausgefunden, deren Ergebnisse vor einem Jahr im Fachjournal „Association for Psychological Science“ veröffentlicht wurden. Wenn etwas „einem Menschen das Herz bricht“, ist dies mehr als eine bildliche Ausdrucksweise. Verletzte Gefühle führen zu Körperreaktionen, die oft nachhaltige Spuren hinterlassen. Die Studien belegen, dass sich seelische und körperliche Schmerzen viel ähnlicher sind, als bisher angenommen wurde.

Versuchspersonen mit Liebesleid

An den Studien in Los Angeles nahmen insgesamt 40 Personen teil, die alle innerhalb der letzten sechs Monate eine gescheiterte Beziehung mit einer nicht gewünschten Trennung zu verkraften hatten. Alle Probanden gaben an, sich extrem abgelehnt und verletzt zu fühlen. In zwei Versuchsteilen wurden ihre Hirnreaktionen mittels funktionaler Magnetresonanztomographie (fMRT) beobachtet. Im ersten Teil wurden die Versuchspersonen mit Fotos des Ex-Partners konfrontiert und mussten sich in die Gefühle des Verletztseins hineinversetzen, die sie bei der Trennung empfanden. Im zweiten Teil setzte man ihnen eine Hitzesonde an den linken Unterarm, die ein ähnliches Gefühl erzeugte wie die Verbrennung durch eine zu heiße Kaffeetasse. Bei der Auswertung der fMRT-Aufnahmen stellten die Forscher fest, dass zwei Gehirnbereiche bei beiden Tests von seelischer und körperlicher Pein gleichermaßen betroffen waren: der somatosenorische Kortex, wo die Sinnesreize verarbeitet werden, und der insuläre Kortex, der die Stärke eines Schmerzreizes registriert. „Wir stellten fest, dass das Auslösen starker Gefühle der sozialen Ablehnung Regionen im Gehirn aktiviert, die auch für das Gefühl des physischen Schmerzes zuständig sind“, erklärt Versuchsleiter Kross.

Ãœberleben im Rudel

Ablehnung ist eines der schmerzhaftesten Gefühle für jeden. Fragt man Menschen nach den ersten negativen Erfahrungen in ihrem Leben, an die sie sich erinnern können, haben diese meist mit Ablehnung zu tun, zum Beispiel nicht mitspielen zu dürfen oder sonst irgendwie von einer sozialen Gruppe ausgeschlossen gewesen zu sein. Evolutionär betrachtet ist dies verständlich, denn für den Menschen war es immer überlebensnotwenig, einer Gemeinschaft anzugehören. Wurde man aus seinem „Rudel“ ausgestoßen, bedeutete dies meist den sicheren Tod. Obwohl sich unsere Lebensbedingungen völlig verändert haben und wir kein Rudel mehr zum Überleben brauchen, spüren wir den Mangel an Zugehörigkeit wie ein nicht befriedigtes Grundbedürfnis. Deshalb stellt Mobbing für die Opfer größte seelische und körperliche Belastungen dar. Fachleute schätzen, dass etwa eine Million Berufstätige in Deutschland gemobbt werden und unter Mobbing leiden. Mobbing gibt es jedoch nicht nur am Arbeitsplatz, sondern in jeder Gemeinschaft und sogar innerhalb der Familie.

Schmerzmittel für die Seele

Menschen, die empfindlicher auf körperliche Schmerzen reagieren, sind meist auch empfindlicher für soziale Schmerzen. Für eine Studie über den Umgang mit sozialer Ausgrenzung wurde ein Computerspiel entwickelt, bei dem sich die Probanden Bälle zuwarfen. In einem abgekarteten Spiel überging man einen der Teilnehmer immer öfter und gab ihm zum Schluss keinen einzigen Ball mehr. Gab man dem Ausgegrenzten jedoch ein Schmerzmittel, in diesem Fall den Wirkstoff Paracetamol, hielt er die Situation besser aus. Ähnliche Studien wurden danach auch mit anderen Stoffen gemacht, die ein Suchtpotenzial enthalten, wie Alkohol, Nikotin oder Süßigkeiten. Versuchsleiterin Eisenberg rät jedoch ab, Schmerzmittel, gleich welcher Art, zu nehmen, um soziale Schmerzen zu unterdrücken. „Ich glaube, wahrscheinlich gibt es diese Art von Schmerzen aus gutem Grund, damit Menschen zusammenhalten“, erläutert sie. „Wenn wir das Gefühl sozialer Ablehnung immerzu betäuben, würden wir dann nicht öfter Dinge tun, für die uns Leute ablehnen und die uns von anderen entfremden?“

Die Angst im Nacken

Obwohl die Forschung bestätigt, dass seelische Verletzungen ganz reale körperliche Schmerzen verursachen, fehlt die Anerkennung dieser Tatsache bis heute in unserer Gesellschaft. „Wir scheinen körperliche Schmerzen ernster zu nehmen als soziale Schmerzen“, sagt auch Eisenberger. Während unsere Mitmenschen meist Verständnis dafür haben, dass körperliche Schmerzen wehtun und Menschen sehr einschränken können, bringen sie nicht immer das gleiche Verständnis für Menschen auf, die unter sozialen Schmerzen leiden. Aber auch die Betroffenen selbst gehen mit körperlichen Leiden offener um als mit seelischen Problemen. Mehrere Bergleute bekamen wenige Wochen nach einem Grubenunglück auf der Nachbarzeche starke Nackenschmerzen – ihnen saß buchstäblich die „Angst im Nacken“. Alle verneinten die Frage nach der Angst, aber der Körper drückte sie deutlich aus. Zurückhalten von Gefühlen erzeugt eine muskuläre Anspannung, die Schmerzen im Körper verursachen, für die Ärzte meist keine körperlichen Ursachen finden.

Hilfe holen

Seelische Zusammenstöße mit anderen Menschen sind unvermeidlich. Denk aber daran, wie verletzend unbedacht ausgesprochene Worte sein können, und geh sorgsam damit um. Frag dich im Zweifelsfall, wie die Worte, die dir auf der Zunge liegen, auf dich selbst wirken würden. Auch das alte Sprichwort „Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu“ hat heute noch seine Gültigkeit.

Fühlst du dich durch Worte und Taten verletzt, dann suche nach einer Haltung, die dir hilft, möglichst schmerzarm damit umzugehen. Dies ist nicht immer leicht und manchmal aus eigener Kraft unmöglich. Scheue dich deshalb nicht, Hilfe zu holen. Inzwischen gibt es wirksame Therapie- und Coachingtechniken, die dazu geeignet sind, alte Verletzungen schnell und nachhaltig zu neutralisieren. Oft verschwinden körperliche Schmerzen von selbst, wenn die dahinterliegenden unverarbeiteten Gefühlszustände behandelt werden.

Die Illusion von der Willenskraft – Teil 1

Neulich sprach mich ein guter Bekannter auf meine Arbeit an und sagte: „Sei mal ehrlich, egal welche Methode du als Hilfsmittel einsetzt, letztendlich ist es nur die Willenskraft und die Selbstdisziplin, die darüber entscheidet ob jemand langfristig sein Verhalten verändert oder nicht.“
In der Tat ist Willenskraft ein entscheidender Faktor und man kann sogar die Willenskraft trainieren wie ein Muskel. Allerdings hat sicher schon jeder erlebt, dass die Willenskraft ihre Grenzen hat. Zuerst ist man wild entschlossen und nach einigen Tagen, spätestens nach drei Wochen ist die Willenskraft und die Selbstdisziplin am Ende. Danach ist alles wieder beim Alten, denn die psychologische Forschung hat festgestellt, dass es mindestens sechs Wochen dauert, bis wir altes Verhalten abgelegt und neues eingeübt haben.

Fazit:
Willenskraft und Selbstdisziplin sind begrenzte
Ressourcen. Insbesondere dann, wenn sie noch
in anderen Bereichen benötigt werden, sind sie
schnell aufgebraucht.
Willenskraft ist aber auch trainierbar wie ein Muskel.
Jeder Leistungssportler trainiert sie dauernd.

Wissenschaftler wollten wissen, was passiert, wenn wir schon am Anfang des Tages Dinge tun, die uns viel Überwindung kosten. Das Ergebnis: scheinbar haben wir nur ein begrenztes Reservoir an Willenskraft, dass uns jeden Tag zur Verfügung steht. Denn je mehr Willenskraft wir tagsüber aufwenden, desto weniger Willenskraft bleibt uns am Ende des Tages erhalten. Sie gaben Leuten Aufgaben, die Willenskraft bedurfte. Dann wurde beobachtet, wie viel diese Leute am Abend Sport trieben. Einer Vergleichsgruppe wurden die Willenskraft-Aufgaben erspart.

Das Ergebnis: Die Leute, bei denen die Willenskraft schon im Verlaufe des Tages gezielt gefordert wurde, waren weniger zum Sport motiviert, trainierten lascher und seltener.

Fazit:
Willenskraft und Selbstdisziplin sind also für den
begrenzten Einsatz sehr hilfreich, für langfristige
Verhaltensänderungen taugen sie recht wenig.

Es kann sogar kontraproduktiv und schädlich sein wenn man häufig versucht langfristige Verhaltensveränderungen mit Disziplin erreichen zu wollen. Irgendwann fühlt man sich so ausgelaugt, dass man nicht einmal mehr genug Willenskraft für die alltäglichen Dinge des Lebens aufbringen kann. Und das Schlimmste ist: der Selbstwertgefühl erleidet schlimme Blessuren.
Stimmt also doch die These, dass sich der Mensch nur sehr schwer ändern kann? Ja – wenn Willenskraft oder Selbstdisziplin als einzige Methode zur Verfügung steht. Abraham Maslow, einer der Begründer der Humanistischen Psychologie hat einmal gesagt: „Wer als einziges Werkzeug nur einen Hammer hat, dem erscheint jedes Problem wie ein Nagel.“ In dem Bewusstsein vieler Menschen ist offenbar das „Sich-am-Riemen-reißen“ als einziges Werkzeug fest verankert.

Was kann uns aber dauerhaft zu neuem Verhalten bewegen?

Dazu ein Beispiel: Wenn jedes Stück Schokolade uns sofort eine heftige Gallenkolik beschweren würde, brauchten wir keine Willenskraft um dagegen anzukämpfen. Wenig wirksam ist allerdings das Wissen darum, dass uns durch unser Verhalten vielleicht später eine schlimme Krankheit droht.

Fazit:
Unsere Grundmotivation ist, Schmerzen zu vermeiden.
Dabei werden akute kleinere Schmerzen stärker
empfunden als weit entferntere große.

Wir brauchen also einen triftigen emotionalen Grund für Veränderungen. Es muss uns etwas drücken und zwicken.
Unsere Grundmotivation Schmerzen vermeiden zu wollen hat aber auch eine liebreizende Schwester: die Lust. Wir wollen Freude, wir wollen Lust empfinden. Oft steht sie im Hintergrund weil Schmerzvermeidung evolutionär wichtiger ist als Freude zu empfinden. Wird uns aber ein sofortiger Lustgewinn in Aussicht gestellt, benötigen wir keine Willenskraft das entsprechende dafür zu tun. Ist jemand frisch verliebt, braucht er keine Willenskraft im halbstündigen Rhythmus sms zu schreiben oder alle möglichen Strapazen auf sich zu nehmen.

Fazit:
Schmerzvermeidung und Lustgewinn sind gleichermaßen
förderlich für die Willenskraft. Um neue Gewohnheiten zu
etablieren ist es gut, beide Emotionen an Bord zu haben.
Um eine schlechte Gewohnheit aufzugeben funktioniert
Schmerz besser. Um eine neue Gewohnheit zu etablieren,
Freude.

Ist z.B. der Abgabetermin für eine Arbeit noch in weiter Ferne, bekommt der Tatendrang wenig Impulse – es sei denn, Du hast große Freude dabei.

Die richtige Taktik

Der Aufdruck „Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit“ u.ä. auf der Zigarettenpackung ist nachgewiesenermaßen wirkungslos. Es kostet den Raucher ein müdes Lächeln. Es würde nur eine Wirkung zeigen, wenn sich der Raucher ernsthaft einen akuten Schmerz vor Augen führen würde. Er müsste sich also intensiv in das schmerzhafte Gefühl und die Not, die eine Beinamputation oder ein Lungenkrebs verursachen kann, hineinversetzen. Vielleicht würde er dann die Zigarette wegwerfen und nie mehr eine anpacken.

Viele Menschen haben von heute auf morgen das Rauchen aufgegeben. Wenn man sie heute fragt, haben sie nicht das Gefühl, große Willenskraft aufgebracht zu haben. Sie wollten einfach nicht mehr! Meist waren dies Raucher, die in jungen Jahren anfingen zu rauchen, weil es damals einfach zum Erwachsensein dazu gehörte. Später ist ihnen klar geworden was sie sich damit antun.

Wäre der Mensch eine seelenlose Maschine, würden alle auf die gleiche Weise funktionieren. Da wir aber beseelte Wesen sind, kann ein anderer auf die Vorstellung einer Amputation oder eines Lungenkrebses reagieren, indem er noch mehr raucht, weil ihm diese Vorstellung Angst und Druck macht. Insbesondere dann, wenn das Rauchen als Suchtmittel zum Kompensieren von Stress und negativen Gefühlen gebraucht wird. In diesem Falle wäre die Taktik auf Schmerzkonfrontation und Abschreckung zu setzen kontraproduktiv.

Hier muss die liebreizende Schwester, die Lustgewinnung die Führung übernehmen, z.B. die Lust aufs freie Atmen oder das Gefühl frei zu sein. Gleichzeitig müssen Schmerz, Stress und Druck reduziert und neue, bessere Kompensationsmöglichkeiten integriert werden. Zudem braucht es Verhaltensweisen, die akuten und dauerhaften Lustgewinn verursachen.

Fazit:
Der entscheidende Punkt für Veränderungen sind weniger
klare Ziele und schon gar keine detaillierten Pläne (z.B. Diät-
pläne), sondern tiefe emotionale Gründe.

Diese emotionalen Gründe können schmerzvermeidende oder lustgewinnende Gründe sein, die bei jedem Menschen individuell verschiedene Auswirkungen haben können. In der Zukunft liegende Emotionen müssen in die Gegenwart projiziert werden.

Was ich am Beispiel des Rauchens erläutert habe, gilt auch für alle anderen Bereiche des Lebens, in denen man Verhaltensveränderungen vornehmen möchte.