Das Beste zum Schluss

Hast du schon deine Löffelliste erstellt?

Was eine Löffelliste ist? Darauf steht alles, beste_schlusswas du noch erleben möchtest, bevor du „den Löffel abgibst“. Eine respektlose Formulierung, meinst du? Zugegeben: Ja! Aber ich habe sie nicht zu verantworten. Der Begriff stammt aus dem Film „Das Beste kommt zum Schluss“ (amerikanischer Originaltitel „The Bucket List“). In den Hauptrollen spielen Morgan Freeman und Jack Nicholson zwei unheilbar an Krebs erkrankte Männer, die nur noch ein halbes Jahr zu leben haben. Gemeinsam erstellen sie eine Liste der Dinge, die sie in der verbleibenden Lebenszeit unbedingt noch tun wollen, ihre „Löffelliste“.

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Das haben wir schon immer so gemacht…

Killerphrase wird eine solche Aussage genannt. Oder Totschlagargument. Und die Personen, die sich dahinter verbergen, sind Schnarchnasen, die ihre Zeit bis zur Rente möglichst schadlos überstehen wollen und damit allen Fortschritt blockieren. So will es zumindest das Klischee, das allzu gerne bedient wird.

Also dann lieber jung, dynamisch, erfolgreich, auf jede neue Idee springen und das bewährte Alte über Bord werfen? alter_wegDass das auch nicht der wahre Jakob ist, liegt auf der Hand. Wie immer liegt die Wahrheit in der Mitte – und das nicht nur im Berufsleben.

Auch im privaten Alltag kleben wir oft wie zäher Leim an Gewohntem und stehen uns damit selbst im Weg. Was könnten wir alles erleben, wenn wir uns bloß ein bisschen mehr trauen würden! Es lohnt sich deshalb, einmal genauer hinzuschauen.

Da könnte ja jeder kommen

Die frühere britische Premierministerin Margaret Thatcher wurde „Eiserne Lady“ genannt. Mit ihrem Verhalten hat sie sich nicht nur Freunde gemacht. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu hat ihre Durchsetzungskraft im TINA-Prinzip verewigt. Das Wort ist gebildet aus den Anfangsbuchstaben der Aussage „There Is No Alternative“.

Leider hat TINA zahlreiche Schwestern. Weil die Akronyme unaussprechlich wären, folgen hier weitere Beispiele beliebter Totschlagargumente: „Das haben wir schon immer so gemacht!“, „Das haben wir noch nie gemacht!“, „Das geht nicht so einfach, wie ihr denkt!“, „Das hat doch keinen Sinn!“ oder „Da könnte ja jeder kommen!“. Und wenn wir mit uns selbst reden, hört es sich vielleicht so an: „Das liegt mir einfach nicht!“, „Da hätte ich ja viel zu tun!“, „Das muss ich mir nicht antun!“ oder „Was soll ich denn noch alles machen?“. So reagieren viele Menschen auf Neues und merken dabei gar nicht, wie sie sich selbst auf den Füßen stehen.

Zaubersaft Dopamin

Bevor wir jetzt alle Konservativen und Zögerer ungespitzt in den Boden rammen, naht kompetente Hilfe, und zwar von den Hirnforschern. Sie haben herausgefunden, warum der Homo sapiens dazu neigt, Neues abzulehnen und lieber den alten Stiefel weiterzumachen: Dopamin heißt der Zaubersaft. Das ist ein Neurotransmitter, der vom Belohnungssystem im Gehirn ausgeschüttet wird.

Dummerweise belohnt Dopamin aber nicht die Entdeckerfreude, sondern fließt dann in Strömen, wenn das Gehirn etwas wiedererkennt, wenn vertraute Netzwerke aktiviert werden. Deshalb entsteht beim Altbekannten ein beruhigendes Gefühl, bei Neuem eher ein Störgefühl. Das kann man dem Gehirn nicht verübeln, denn es erledigt vor allem seinen Hauptjob: das Überleben sichern. Alle Erinnerungen an zurückliegende Ereignisse, auch an die weniger schönen, haben eins gemeinsam: Wir haben sie immerhin überlebt. Beim Neuen weiß man das noch nicht.

Auch wenn es bei neuen Ideen in aller Regel nicht ums nackte Überleben geht, setzt das Gehirn lieber auf Nummer sicher. Zumindest in der ersten Reaktion. Beim zweiten Nachdenken kann sich das Neue schon etwas vertrauter anfühlen. Immerhin, das erste Dopamin ist im Anmarsch und der Antrieb, sich auf etwas Ungewohntes einzulassen, wird umso stärker, je mehr man sich mit dem neuen Gedanken befasst. Es lohnt sich also, nicht sofort abzublocken.

Mit Zähnen und Klauen

So weit die Hirnforscher. Die Psychologen haben noch andere Erklärungen auf Lager, denn die Logik der Psyche ist tausend Mal kreativer als die Logik des Verstandes. Es fängt schon damit an, von wem die neue Idee eigentlich ist. Kann man ihn nicht leiden, hat auch seine Neuerung wenige Chancen in der eigenen Beurteilung.

Auch Rivalität mischt sich gerne mit ein. Die eigenen Gedanken und Vorstellungen werden dann oft mit Zähnen und Klauen verteidigt. Zu allem Überfluss hat man uns anerzogen, zu der eigenen Meinung zu stehen. und so empfinden manche eine Meinungsänderung gar als Niederlage. Da lobe ich mir Altbundeskanzler Konrad Adenauer, der einmal bekannte: „Was interessiert mich mein dummes Geschwätz von gestern.“ Damit zeigte er mehr Größe als mit emsigem Rechtfertigen begangener Fehler und Irrtümer, wie es heute leider oft die Regel zu sein scheint. Nicht nur in der Politik.

Aber die Psychologen haben noch weitere Erklärungen auf Lager, warum so viele Menschen bei neuen Ideen auf der Bremse stehen. Die Angst vor Neuem ist eben menschlich und drückt sich in den verschiedensten Verkleidungen aus: An die Vernunft wird appelliert, der warnende Zeigefinger erhoben und sogar beteuert, man meine es doch nur gut. Manche Menschen gefallen sich besonders gut in der Rolle des Advocatus Diaboli (zu Deutsch: Anwalt des Teufels), der die Aufgabe hat, alle Haare in der Suppe zu finden. Und wenn man danach sucht, wird man mit Sicherheit auch welche finden. In Anbetracht dieser psychologischen Aspekte grenzt es fast an ein Wunder, dass es überhaupt so viel Kreativität gibt.

Advocatus Angeli

Wie kann man nun chronischer Engstirnigkeit begegnen – der fremden und der eigenen? Gar nicht so einfach, wenn sich jemand in das oben genannte TINA-Prinzip festgebissen hat. Deshalb hat die französische Politologin Susan George das Prinzip TATA als Gegenentwurf entwickelt. Es steht für „There Are Thousands of Alternatives“. Es müssen ja keine tausende neue Ideen sein, aber die eine richtige Idee zum passenden Zeitpunkt ist Gold wert.

Wichtig ist, dem Neuen überhaupt eine Chance zu geben. Wenn unser Verstand zuerst auf Nummer sicher schalten will, gilt es, ihn ans Händchen zu nehmen und ihm gut zuzureden. Insbesondere bei Dingen, bei denen es nicht um große Umbrüche geht, kann man lernen, ein bisschen mutiger und experimentierfreudiger zu werden. Und wenn du die Wahl hast zwischen A und B, kannst du ja auch mal C ausprobieren.

Anstatt den Advocatus Diaboli zur Hochform auflaufen zu lassen, darf auch einmal der Advocatus Angeli die Führung übernehmen. Wer das ist? Der Engel, der als Gegenspieler zum Teufel das Gute will. Mal dir aus, wie es ist, wenn alles gut ausgeht, und du wirst sehen: Dopamin ist bereits im Anmarsch und wenn genug im Gehirn angekommen ist, hat es die Begeisterung im Schlepptau. Selbst dann, falls die neue Idee nicht von dir sein sollte.