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Zugegeben, die dreiste Überschrift sollte dich zum schlankWeiterzulesen verleiten. Offensichtlich ist das gelungen. Vielleicht bist du tatsächlich auf der Suche nach einer guten Lösung für dein „Problem“ Übergewicht oder du wärst zumindest dankbar für jeden brauchbaren Hinweis. Vielleicht willst du auch nur wissen, was sich hinter dieser ebenso vollmundigen wie unrealistischen Aussage verbirgt. Natürlich fällt kaum noch jemand auf reißerische Versprechungen herein, obwohl der Markt für Wundermittel zum schnellen Abnehmen nach wie vor blüht.

Seit fast 20 Jahren beschäftige ich mich intensiv mit dem Thema Gewichtsreduktion, gebe Kurse und begleite Menschen in Gruppen oder Einzelcoachings dabei, ihren Weg in ein leichteres Leben zu finden. Eins habe ich dabei gelernt: Es gibt so viele Gründe für das Übergewicht, wie es übergewichtige Menschen gibt, aber es gibt keine Universalrezepte. In diesem zweiteiligen Artikel (der zweite Teil folgt nächste Woche) möchte ich einige wichtige Erkenntnisse aus meiner Praxis weitergeben, die dir helfen können, damit du zumindest nicht mehr die falschen Wege auf der Suche nach einer dauerhaften Gewichtsabnahme gehst.

Die Tür geht nach innen auf

Scheinbar weiß es jedes Kind: Wer zu viel isst, wird dick, wer am Essen spart, wird dünn. Wer sich viel bewegt, wird dünn, ein Couchpotato wird immer dicker. Diese Zusammenhänge klingen so logisch, dass man sie kaum noch in Frage stellt. Erstaunlich nur, wie viele Menschen trotz Essensverzicht und fleißigem Fitnessen nicht mit ihrem Wunschgewicht belohnt werden. Was ist da los? Sind diese Menschen krank, machen sie die falschen Übungen oder essen sie doch heimlich unter der Bettdecke?

Denke einmal an den Placeboeffekt: In einem Scheinmedikament ist kein echter Wirkstoff, aber der Patient ist völlig davon überzeugt, es sei ein wirkungsvolles Arzneimittel. Allein dieser Glaube und die Erwartung, das Medikament könne helfen, führen zu einer positiven Veränderung des subjektiven Empfindens. Das Gegenstück dazu gibt es auch: den Noceboeffekt. Hierbei entstehen negative Veränderungen ohne nachweisbaren Grund – allein aufgrund einer negativen Erwartung. So kann beispielsweise der Patient Nebenwirkungen spüren von einem Scheinmedikament, das gar keinen Wirkstoff beinhaltet. Ein solcher Effekt entsteht nicht nur bei Medikamenten. Auch Scheinoperationen und andere Scheinbehandlungen können die gleiche Wirkung erzielen wie echte Eingriffe.

Was also, wenn auch das Übergewicht viel mehr mit unseren Vorstellungen und Erwartungen zu tun hätte als mit dem Essen selbst? Was, wenn unsere Gefühle wie Angst, Enttäuschung, Minderwertigkeit, verdrängte Wut oder Hoffnungslosigkeit entscheidende Auslöser für Übergewicht wären? Was, wenn Dauerstress durch äußere oder auch durch innere Umstände, zum Beispiel eine schlechte Selbstbeziehung, die wahren Ursachen für das „dicke Fell“ wären? Dann würde klar, warum jede noch so raffiniert ausgeklügelte Diät und auch das beste Sportprogramm nach den neuesten medizinischen Erkenntnissen nicht den gewünschten Erfolg bringen können. Dann müsste man die Denkrichtung ändern: Die Tür, die zu einem leichteren Körper führt, geht nach innen auf.

Es gibt gar kein Ãœbergewicht

Professor Achim Peters von der Universität Lübeck hat sich wie kaum ein anderer wissenschaftlich mit dem Thema Übergewicht beschäftigt. Zehn Jahre dauerte das klinische Forschungsprojekt, das 2004 von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ins Leben gerufen wurde und an dem 36 Wissenschaftler und fünfzig Doktoranden aus den Disziplinen Hirnforschung, innere Medizin, Diabetologie, Psychiatrie, Psychologie, Neuroendokrinologie, Pharmakologie, Ökotrophologie, Biochemie, Chemie und Mathematik beteiligt waren. Ein beeindruckendes Team mit geballter Kompetenz!

Nach der Auswertung von 12.000 internationalen Studien wurde etwas ganz Erstaunliches nachgewiesen: Es gibt gar kein Übergewicht, sondern nur „ein aus der individuellen Lebenssituation erwachsendes Gewicht, das exakt der Art und Weise entspricht, wie unser Gehirn seinen Energiebedarf deckt“. Auf gut Deutsch: Das Gewicht hat viel mehr mit dem Stress und der Lebenssituation des jeweiligen Menschen zu tun als mit dem, was er isst.

Dickmacher Cortisol

In seinen beiden lesenswerten Büchern „Das egoistische Gehirn. Warum unser Kopf Diäten sabotiert und gegen den eigenen Körper kämpft“ und „Mythos Übergewicht. Warum dicke Menschen länger leben“ beschreibt Achim Peters die hochinteressanten Ergebnisse der Studien seines Teams. Das Gehirn deckt seinen Energiebedarf, indem es zuerst Energie aus dem Körper anfordert. Das bezeichnet man als Brain-Pull. Dazu wird das Stresssystem aktiviert, wobei dem Stresshormon Cortisol eine bedeutende Rolle zufällt. Bei langanhaltenden Stressbelastungen machen sich Nebenwirkungen des Cortisols bemerkbar und der Körper fängt an, sich dagegen zu schützen. Dies hat zur Folge, dass der Brain-Pull heruntergefahren wird. Resultat: Das Gehirn bekommt mehr als genug Energie, während sich gleichzeitig die Fettreservoirs füllen.

Diesen Effekt kennt man als Nebenwirkung, wenn jemand über einen längeren Zeitraum Cortison als Medikament einnehmen muss: Eine Gewichtszunahme ist kaum vermeidlich, selbst wenn man das Essen reduziert. „Statt den Brain-Pull zu überlasten oder gar zu überlisten“, schreibt Professor Peters, „wäre es hilfreich, zunächst die Gründe für seine Schwächung aufzudecken, diese dann aus dem Leben zu verbannen oder zu lernen, besser mit ihnen umzugehen.“ Leider ist es nicht so einfach, Dauerbelastungen aus seinem Leben zu verbannen, und der bessere Umgang damit ist eine große Herausforderung.

Ãœberleben im Haifischbecken

Ein überlastetes Stresssystem macht dick. Auf diese einfache Formel lässt sich also ein Phänomen bringen, von dem Millionen Menschen weltweit betroffen sind, woran Ärzte und Ernährungsexperten oftmals scheitern und die Abnehm-Industrie Milliarden verdient, bei dem die Gesundheitspolitik versagt und woran viele, viele Menschen verzweifeln. Es ist wichtig, dies zu erkennen, um sich nicht mit falschen Lösungsversuchen noch mehr Stress zu verursachen.

Bildlich gesprochen befinden sich viele Menschen in einem Haifischbecken, in dem es kaum noch möglich ist, Ruhe zu finden und Stress abzubauen. Da man das Haifischbecken kaum verlassen kann, gilt es, gute Überlebensstrategien zu entwickeln. Deshalb gehört es in meinen Kursen zur Gewichtsreduktion zu den wichtigsten Zielen, einen besseren Umgang mit Alltagsstress und seelischen Belastungen zu finden. Natürlich geht es nicht ganz ohne Stress, das ist in unserer heutigen schnelllebigen Zeit gar nicht möglich. Wichtig ist aber, dass daraus kein Hamsterrad mit Dauerstress wird, der den Cortisolspiegel dauerhaft hochhält.

Eine gute Selbstbeziehung ist eine der wichtigsten Voraussetzungen. Wer sich selbst nicht mag, wird auch nicht gut auf sich aufpassen. Selbstliebe, Selbstachtung und ein gutes Selbstwertgefühl gehört zur guten Grundausstattung, um dauerhaft sein Gewicht zu halten. Im zweiten Teil meines Artikels – nächste Woche – werde ich auf weitere Faktoren eingehen, die unseren Körper hindern, im Gleichgewicht zu bleiben. Dabei wird es unter anderem um das „dicke Fell“ gehen, wie es im Volksmund bezeichnet wird, um den „Schutzpanzer“, den sich viele unbewusst zugelegt haben.

2 comments

  1. Cornelia Klemm

    Hallo Elmar,

    gut für mich, dass Du diesen Block wieder mal geschrieben hast, es hat in meinem Gehirn
    wieder ein paar Türen geöffnet.

    Liebe Grüsse aus Hellstein
    Conny

  2. Ernst (kannst du gerne veröffentlichen)

    Hallo Elmar,
    ja du hast völlig Recht mit deinen Thesen. In den letzten 12 Wochen habe ich erkannt, wie wichtig es ist, sich mit sich selbst zu beschäftigen und die innere Mannschaft mit in die Pläne einzubeziehen. Ich habe deine Anregungen möglichst penibel befolgt und fühle mich nach 5 Kilo Abnahme schon wesentlich wohler und kann trotzdem essen was ich will und was mir schmeckt. Ich bin zudem ruhiger geworden und meine Selbstzufriedenheit hat enorm zugenommen. Deshalb freue ich mich auch schon auf die jetzt beginnende „Lebensschule“, damit ich den positiven Weg weitergehen und festigen kann.

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