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Im ersten Teil (letzte Woche Mittwoch) habeVersuchung ich die Willenskraftformel KAI erläutert, die sich aus Klarheit, Achtsamkeit und Impulskontrolle zusammensetzt. Diese Fähigkeiten müssen wir üben. Hirnforscher haben herausgefunden, dass unser Gehirn trainierbar ist wie ein Muskel. Wie für alle Bereiche unseres Körpers gilt: Was wir regelmäßig benutzen, wird gestärkt, was wir links liegen lassen, verkümmert. So ist es mit unseren Gewohnheiten – den guten wie den schlechten: Sie haben sich durch ständiges Wiederholen als Netzwerke im Gehirn stabilisiert und lenken damit unser Verhalten in die vertraute Richtung. Sind wir nun diesen Verhaltensgewohnheiten hilflos ausgeliefert oder sind wir in der Lage, sie zu korrigieren oder sogar dauerhaft umzuprogrammieren? Um die Antwort vorwegzunehmen: Ja, das Umprogrammieren ist möglich. Allerdings hat dies so seine Tücken.

Der Marshmallows-Test

Selbstkontrolle ist ein wichtiges Thema in der Verhaltenspsychologie. Bereits in den sechziger Jahren wurde der US-Psychologe Walter Mischel mit dem von ihm entwickelten Marshmallows-Test berühmt. Noch heute ist dies ein Klassiker in der Verhaltensforschung, der in verschiedenen Abwandlungen eingesetzt wird. Vierjährigen wurde seinerzeit jeweils ein Marshmallow gegeben, eine Süßigkeit aus Schaumzucker. Die Kinder hatten die Wahl, es entweder gleich aufzuessen oder damit zu warten, bis der Versuchsleiter nach einer Viertelstunde zurückkam. Dafür erhielten sie als Belohnung ein weiteres Marshmallow. Einige konnten der Versuchung widerstehen, andere nicht. Insgesamt 1.000 Kinder wurden auf diese Weise getestet. Das eigentlich Spannende stellte sich nach 40 Jahren heraus, denn die Entwicklung dieser Kinder wurde bis ins Jahr 2004 verfolgt. Das Ergebnis war beeindruckend: Diejenigen, die schon als Kinder den Belohnungsaufschub gut aushalten konnten, waren auch in ihrem Erwachsenenleben erfolgreicher.

Der Schlüssel zu mehr Willenskraft

Ein wesentlicher Faktor, der unsere Willenskraft zerstören kann, sind unklare, fehlende oder ständig wechselnde Prioritäten. Wer nicht recht weiß, was jetzt gerade für ihn wichtig ist, der neigt dazu, sich mit Bequemem zu beschäftigen oder gar nichts zu tun – bestenfalls das Notwendigste, um Unannehmlichkeiten zu verhindern. Oder im Gegenteil: Jemand tanzt auf zu vielen Hochzeiten, weil ihm alles interessant oder wichtig erscheint, und entleert auf diese Weise schnell seine Willenskraftbatterie. Unklare Prioritäten lassen ein Vakuum entstehen, das sich mit Nebensächlichkeiten und schlechten Gewohnheiten füllt. Deshalb sind klare Prioritäten, Ansichten oder Haltungen der Schlüssel zu mehr Willenskraft. Mit konkreten Haltungen wie „Ich kann Unordnung nicht haben“ oder „Was du heute kannst besorgen …“ brauchen wir weniger Überwindung, den Schreibtisch aufzuräumen oder rechtzeitig unsere Steuererklärung abzugeben. Ist jemand aus Überzeugung Vegetarier, braucht er keine Willenskraft, um auf das Grillsteak zu verzichten. Er wird es nicht einmal als Verzicht empfinden. Das Wort „Verhalten“ ist mit dem Begriff „Haltung“ eng verbunden. Entscheidend ist allerdings, dass wir unsere Haltungen selbst erworben haben und sie nicht von anderen vorgegeben wurden.

Trick 17 mit Selbstüberlistung

Leider gibt es keine Patentrezepte für den guten Umgang mit sich selbst. Vielmehr sind wir täglich neuen Verlockungen oder Handlungsblockaden ausgesetzt. Auch wenn wir uns darin üben, bessere Gewohnheiten zu trainieren, Prioritäten zu setzen und innere Haltungen zu festigen, sind wir nicht gefeit vor den fiesen Tricks, die unser Unbewusstes für uns bereithält. Nicht nur Verhaltensforscher können ein Lied davon singen … US-Psychologin Sonya Sachdeva hat das Phänomen „Moral Licensing“ aufgedeckt. Es ist dafür verantwortlich, dass wir uns nach einer guten Tat weniger moralisch verhalten als sonst. Hat man sich zum Beispiel den ganzen Tag gesund ernährt, erlaubt man sich eher eine ungesunde Leckerei. Oder hat man sich schön brav an Vorschriften gehalten, erlaubt man sich leichter einen kleinen Fehltritt. Dieser Effekt wurde in verschiedenen wissenschaftlichen Studien nachgewiesen. Das Fazit dieser Studien lautet: Nach jedem „Gutsein“ erlauben wir uns gerne ein wenig „Schlechtsein“. Das Dumme ist, dass wir das Schlechtsein kaum wahrnehmen, da wir vermeintlich genug auf dem „Gutkonto“ zum Ausgleichen haben. Einen weiteren Selbstüberlistungstrick, bei dem die Willenskraft ausgehebelt wird, bezeichnen Wissenschaftler als „Health-Halo-Effekt“, auf Deutsch: „Gesundheits-Heiligenschein-Effekt“. Steht etwa auf einer Lebensmittelverpackung „fettarm“, „light“, „bio“ oder Ähnliches, verleitet dies uns dazu, mehr, davon zu essen, weil der Inhalt scheinbar gesund oder kalorienarm ist. Ein Effekt, den sich Nahrungs- und Genussmittelindustrie gerne zunutze machen. Was hilft: Genau hinschauen, kundig machen und bewusst Entscheidungen treffen.

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