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Wer kennt nicht den schrulligen Opa ausLametta dem Sketch von Loriot „Weihnachten bei Hoppenstedts“. Wir amüsieren uns über ihn und dabei kann es leicht passieren, dass wir selbst zu einem Opa Hoppenstedt zu werden. Nicht so kauzig und verschroben vielleicht, aber ganz schön nostalgisch. Früher war alles besser – dieses Gefühl schwingt im täglichen Leben oft mit. Offenbar hat es die Natur so eingerichtet, dass uns angenehme Dinge besser in Erinnerung bleiben als die unangenehmen. Vielleicht, damit wir nicht so schnell ins Hadern kommen und die Flinte zu frühzeitig ins Korn werfen. Was früher besser war: Man war jünger. Körper und Geist waren frischer, unverbrauchter und vieles war aufregend: die erste Liebe, die ersten Reisen, man entdeckte sich selbst, bestand Prüfungen und Herausforderungen. Mit jugendlicher Unbefangenheit riskierte man das pralle Leben. „Ich weiß nicht, woher ich damals den Mut genommen haben, na ja, ich war noch jung und unerfahren“, hört man oft ältere Menschen erzählen. Heute ist man erfahren, hat schon viel Lehrgeld bezahlt und überlegt es sich lieber dreimal, bevor man etwas wagt.

Die ungemütliche alte Zeit

War früher wirklich alles besser? Ich brauche nur ein Wort zu nennen, um deutlich zu machen, dass dies nicht stimmt. Möchten Sie es hören? Das Wort lautet: Zahnarzt. Autsch! Ja, man kann sogar deutlich spüren, dass auf keinen Fall alles besser gewesen sein kann. Vor einiger Zeit lief im Fernsehen ein Film des Regisseurs Philipp Stölzl mit dem Titel „Der Medicus“ nach dem gleichnamigen Roman von Noah Gordon. Mit teilweise schockierenden Bildern wurde die „Heilkunst“ im Mittelalter dargestellt. Trotz zeitweiliger Missstände sind im Vergleich dazu die heutigen Krankenhäuser ein Segen. Nicht nur die medizinische Versorgung ist humaner geworden, nahezu alle Parameter, an denen man Lebensqualität messen kann, sehen heute besser aus als vor 25, 50 oder 100 Jahren. Was hätten unsere Großeltern dazu gesagt, dass wir heute morgens, mittags und abends Hochzeitsessen auf dem Tisch stehen haben? Und das jeden Tag. Wer hätte es für möglich gehalten, stundenlang mit dem nach Australien ausgewanderten Bruder zu sprechen und ihn dabei auf einem Bildschirm zu sehen, ohne dass es einen Cent zusätzlich kostet? Fast alles Wissen dieser Welt kommt in Sekundenschnelle und kostenlos mit dem Zauberwort Suchmaschine frei Haus, ohne stundenlang in Bibliotheken stöbern zu müssen. Wie sieht es mit der Verkehrssicherheit aus, dem Schutz vor Kriminalität, der Lebenserwartung oder der Kindersterblichkeit? Die Zahl der Kriegsopfer ging weltweit drastisch zurück, trotz Irak und Afghanistan. Heute kann tatsächlich jeder nach seiner Fasson selig werden, wie es Friedrich der Große schon im 18. Jahrhundert forderte. Jeder kann sogar die Majestät beleidigen, ohne gleich den Kopf abgeschlagen zu bekommen. Zumindest hierzulande. Und wer hätte sich noch vor wenigen Jahrzehnten einen bekennenden Homosexuellen als Bürgermeister einer Bundeshauptstadt vorstellen können? Man könnte weitere unzählige Indizien liefern, um mit Recht zu resümieren: Früher lebte es sich deutlich ungemütlicher und gefährlicher.

Verzögerung der Zeit

Wie man auf die Vergangenheit blickt, hat tatsächlich mit dem Alter zu tun. Das zeigt das Ergebnis einer Studie, die von der Stiftung für Zukunftsfragen in Hamburg durchgeführt wurde. Dabei kam heraus, dass die 35- bis 55-Jährigen besonders häufig, nämlich fast ein Drittel dieser Altersgruppe, die Meinung vertreten, früher sei alles besser gewesen. Auch die Wohngegend der Befragten spielt eine Rolle: 33 Prozent der Landbevölkerung, aber nur 21 Prozent der in einer Stadt Lebenden sind dieser Ansicht. In der nostalgischen Rückschau wird häufig festgestellt: „Früher, da hatte man noch mehr Zeit.“ Tatsächlich scheint das Leben in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer hektischer geworden zu sein, zumindest in der subjektiven Wahrnehmung. Zu diesem Ergebnis kommt auch der „Verein zur Verzögerung der Zeit“, der seinen Sitz – wie könnte es anders sein – in Österreich hat. Er verpflichtet seine Mitglieder „zum Innehalten und zur Aufforderung zum Nachdenken dort, wo blinder Aktionismus und partikulares Interesse Scheinlösungen produziert“ (Zitat aus den Vereinsstatuten). Der 1990 von Professor Peter Heintel gegründete Verein beschäftigt sich also in erster Linie mit einem achtsamen Umgang mit der Zeit. Es ist sicherlich keine schlechte Idee, sein Leben zu entschleunigen, mit einem ruhigen, unaufgeregten Blick auf Situationen zu schauen und in Ruhe Lösungen reifen zu lassen, anstatt mit hektischem Agieren womöglich Öl ins Feuer zu gießen.

Genieß den Augenblick

Das Gefühl, dass früher alles besser war, ist offenbar Jammern auf höchstem Niveau. Woher kommt es, dass so viele Menschen den alten Zeiten nachtrauern? Ulrich Reinhardt, der wissenschaftliche Leiter der vorgenannten Stiftung für Zukunftsforschung, findet dafür Erklärungen: „Ein häufiges Argument“, weiß der Experte, „ist das liebe Geld. Früher war angeblich alles billiger.“ Natürlich kostete ein Brot in den 1950er Jahren gerade mal 50 Pfennige, ebenso wie ein Liter Benzin. Dafür betrug der Bruttolohn eines Facharbeiters aber nur etwa 75 DM pro Woche und das bei einer Sechs-Tage-Woche mit 48 Stunden Arbeitszeit. Fast das ganze Einkommen wurde gebraucht, um über die Runden zu kommen. Blieb etwas übrig, wurde es gespart, um sich größere Wünsche erfüllen zu können. Heute kurbelt der Überschuss den Erlebniskonsum an. „Damals wäre man nicht auf die Idee gekommen, Nachmittage und Wochenenden in einem Zwei-Stunden-Rhythmus von Verabredungen, Sport, Fernsehen, Kino- oder Theaterbesuchen zu verbringen“, stellt Ulrich Reinhardt fest. Es geht uns heute so gut wie noch nie in der Menschheitsgeschichte. Aber die Psyche spielt uns einen Streich: So wie wir das Vergangene unbewusst ins beste Licht rücken, entwerten wir das Gegenwärtige zu Unrecht. Wir gewöhnen uns schnell an Verbesserungen und nehmen diese als selbstverständlich hin. Dazu kommt: Je älter wir werden, umso schwerer fällt es, uns an Neuem zu freuen. Alles ist irgendwie schon einmal da gewesen. Sogar die schönsten Urlaubsreisen werden auf diese Weise zur Erlebnisroutine. Was kann man tun? Sorge für Abwechslung und freudige Erlebnisse. Lerne dich wieder zu freuen wie kleine Kinder. Mach dir klar, wie gut es dir geht, und werde kein Opa Hoppenstedt. Genieße den Augenblick und sei für alles dankbar, was dir das Leben schenkt.

Zum Schluss noch ein heißer Tipp für Sonntag:

Konzert: Klezmer ist wie ein Lachen durch Tränen

Klezmer_Foto

Sonntag, 29. März um 15 Uhr
Bad Orb, Haus des Gastes
Eintritt: 14 Euro

Mehr Info und Karten bestellen
(werden an der Kasse hinterlegt)

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