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Aus dem Tagebuch eines vorbeugenGesundheitsbewussten: „Um 6 Uhr eine Stunde Joggen gewesen, danach Körperfettanteil und Body-Mass-Index mit Vortag verglichen: 0,1 % mehr Fett. Naja. Danach Hirsebrei gefrühstückt. Den Ernährungsplan nach meiner Blutgruppe mit Inge besprochen. Beim Arzt zum Durchchecken vorbeigeschaut. Darmsanierung vereinbart. Feldenkrais-Kurs gebucht. Auf dem Wochenmarkt eingekauft. Im Reformhaus Entschlackungstee und Birkenblätter für die Blutreinigung besorgt, dabei Osteopathie-Buch an der Kasse mitgenommen. Haus gegen Elektrosmog abgeschirmt. Atem-Seminar gebucht. Muss jetzt los zum Yoga-Kurs und darf nicht vergessen, Heilerde zu kaufen.“

Übertrieben? Vielleicht. Aber das Leben kann so anstrengend sein. Besonders das gesunde Leben. Heißt das, dass gesunde Lebensführung nicht so wichtig ist? Sollten gesunde Ernährung, Vorsorge und sportliche Betätigung doch keinen Sinn machen? Nein, natürlich nicht. Aber sich ständig unter Druck zu setzen und sich am Riemen zu reißen ist genauso ungesund, wie alles schleifen zu lassen. Wie immer im Leben kommt es auf das richtige Gleichgewicht an.

Dabei könnten wir Menschen wirklich zufrieden sein. Die Medizin hat Seuchen, Pocken und Pest besiegt, hat Antibiotika entwickelt, Kontaktlinsen und Hörgeräte erfunden, kann künstliche Knie oder Hüften einsetzen und sogar Organtransplantationen sind zur Alltäglichkeit geworden. Die Nahrungsmittelindustrie legt uns morgens, mittags und abends Festessen auf den Teller, wie es unsere Großeltern nur zu ganz besonderen Festlichkeiten hatten. Wenn überhaupt. Die Menschen, zumindest die in den wohlhabenden Ländern, waren noch nie so gesund wie heute. Eigentlich. Denn zugleich haben sich noch nie so viele Menschen krank, ausgelaugt und überfordert gefühlt.

Es ist leicht, das Leben schwer zu nehmen

Das amerikanische Fachblatt „The Lancet Neurology“ veröffentlichte eine Studie, die ergab, dass sich US-Bürger weniger gesund fühlen als Inder im Bundesstaat Bihar. Und das, obwohl Amerikaner ein Vielfaches für ihre Gesundheit aufwenden und eine höhere Lebenserwartung haben. Obwohl auch bei uns nicht nur für die Grundbedürfnisse überreichlich gesorgt ist, fühlen sich viele Menschen nicht wohl in ihrer Haut.

„Es ist leicht, das Leben schwer zu nehmen. Aber schwer, es leicht zu nehmen“, lehrte uns schon Nossrat Peseschikian, der Wiesbadener Psychiater iranischer Herkunft. Homo sapiens ist das intelligenteste Lebewesen auf unserem Planeten. Deshalb schafft er es auch als einzige Kreatur, den natürlichen Schlafrhythmus zu ignorieren und sich im Fernsehsessel festzubinden, anstatt dem natürlichen Bewegungsdrang zu folgen. Oder sich mit Reizen zu überfluten oder dem Modetrend folgend sich Kleidung überzuziehen, die unbequem ist oder gar Ekzeme verursacht. Von chronischer Überarbeitung ganz zu schweigen.

All dies geht nicht spurlos an uns Menschen vorüber. Psychisches Leiden ist die logische Folge eines kollektiven Lebensstils, der von Hektik, Stress, Höchstleistungsansprüchen und stetigem Wachstum geprägt ist. Das ist nicht mit Sanddornsaft, Vitaminpräparaten und selbst nicht mit großer Darmreinigung auszugleichen.

Auf die richtige Dosis kommt es an

Wenn wir heute täglich Belastungen ausgesetzt sind, dann ist es auch wichtig vorzusorgen. Nur: Das stete Beäugen der Gesundheit, das zum Vorsorgewahn ausarten kann, macht das Leben nicht besser. Im Gegenteil. Wer sich ständig um seine Gesundheit sorgt, hat eine Sorge mehr. So hetzen sich manche Menschen auf der Suche nach innerer Ruhe auch in ihrer Freizeit ab. Kein Tier macht Sport und schon gar nicht mit der Stoppuhr in der Hand. Sportmediziner haben ermittelt, dass 60 % der Hobbyläufer zu schnell unterwegs sind. Wer selten zum Laufen kommt, fühlt sich oft angespornt, härter zu trainieren. Wird Ausdauersport übertrieben, bringt man sich jedoch um den Trainingseffekt, riskiert schnellen Verschleiß, chronische Erschöpfung und Schäden am Herz.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich möchte niemanden den Freizeitsport madig machen. Es ist unbestritten, dass Ausdauersport die Gesundheit fördern und das Leben verlängern kann – wenn man die richtige Dosis beachtet. Und Sport muss Spaß machen, sonst sollte man ihn lieber bleiben lassen. Auch stellen manche zu hohe Ansprüche an den eigenen Körper. Schmerzt das Knie beim Sport, brauchen gesunde Menschen nicht sofort eine riskante Arthroskopie, sondern mehr Schonung. Man hat sogar von Fünfzigjährigen gehört, die sich nur deshalb eine neue Hüfte einpflanzen lassen, weil sie Marathon laufen wollen. So bitte nicht!

Der Bluff mit dem Body-Mass-Index

Auch das Körpergewicht wird heutzutage fast als Fetisch verehrt. Während es früher noch als gesund galt, „etwas zum Zusetzen“ auf den Rippen zu haben, quälen wir uns heute mit strengen Vorgaben über den Body-Mass-Index oder den akzeptablen Körperfettanteil. Auch hier möchte ich nicht falsch verstanden werden: Ich rede nicht der Fettleibigkeit das Wort. Aber wenn man sich nur an vorgegebenen Grenzwerten orientiert, landet man leicht in der Kategorie „Ungesund – Sie müssen etwas tun!“ Ob das wirklich so ist, gilt es zu hinterfragen.

Der Body-Mass-Index (BMI) ist eine Maßzahl für die Bewertung des Körpergewichts eines Menschen in Relation zu seiner Körpergröße. Er wurde schon 1832 von dem belgischen Statistiker Adolphe Quetelt entwickelt und wird heute noch von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Maßstab eingesetzt. Allerdings ist der BMI bestenfalls ein grober Richtwert, da er weder Statur und Geschlecht noch die genetische Ausstattung eines Menschen berücksichtigt. Beim BMI werden Südländer, Asiaten und Eskimos in einen Topf geworden und heraus kommt ein Mittelwert, der für jeden gelten soll. Da hat man als durchschnittlicher Germane schnell schlechte Karten. Bis zum Wert von BMI 25 geht das Normalgewicht, dann beginnt das Übergewicht. Wen wundert’s, dass so betrachtet jeder zweite Deutsche als übergewichtig gilt. Krankenkassen drohen schon mit Risikoaufschlägen.

Dabei ist durch aktuelle Studien erwiesen: Menschen mit leichtem bis mittlerem Übergewicht leben länger und werden seltener krank als dürre Zeitgenossen. Der Bereich eines BMI von 25 bis 30 ist medizinisch ideal. Deshalb sollte man diese Kategorie als Idealgewicht bezeichnen oder zumindest damit aufhören, sie als gesundheitsgefährdend anzuprangern. Allerdings befürchte ich, dass wir selbst trotz besseren Wissens aller Fachleute vergeblich auf diesen Sinneswandel warten werden. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Eine gigantische Diät- und Lebensmittelindustrie und die pharmazeutische Industrie leben davon, Menschen ein schlechtes Gewissen und Gesundheitsgefahren einzureden.

6 comments

  1. Rosi Dietz

    Hallo, guten Abend lieber Elmar Egold,

    dieser Beitrag trifft es wieder in die 12!
    Ich bin Diabetesberaterin und gebe gelegentlich auch Ihre E-Mail-Adresse weiter.
    Das darf ich doch hoffentlich?
    Jedenfalls ist mir jeder dieser Sätze heute regelrecht aus der Seele geschrieben!
    Herzlichen Dank dafür!
    Einen schönen Abend und eine gute Zeit
    Mit vielen Grüßen aus Mühlheim
    Rosi Dietz

    1. admin Post author

      Hallo liebe Rosi Dietz,
      es freut mich sehr, dass Sie als Expertin die Sache genauso sehen.
      Selbstverständlich dürfen Sie meine Mails immer gerne weiterschicken.
      Viele Grüße
      Elmar Egold

  2. gesa wienhusen

    Lieber Elmar,

    danke für den entlastenden Beitrag über BMI. Ich versuche mich gesund zu ernähren, „quäle“ mich auch manchmal mit überflüssigen Pfunden, dabei ist mein BMI immer zwischen 24 und 27 —— also loslassen, es locken angehen, nicht mehr so verkrampft auf den BMI schauen, danke Elmar

    Lieben Gruß
    Gesa

  3. Helmut Steinkrauss

    Hallo Elmar,
    dieser Bericht erfreut mich sehr, ich bin ja schon eine Weile bei dir in den
    Kursen, habe ja schon gelernt das es mit dem ändern der Gewohnheiten
    und dem Leben Zeit kostet.
    Ich bin heute froh mich für diesen Weg entschieden zu haben, bin jetzt auch in die
    Nähe des BMI gekommen, es geht mir richtig gut.
    Wünsche dir eine schöne Woche, bis Donnerstag.

    Gruß Helmut

    1. Elmar Egold

      Danke für den Kommentar, lieber Helmut. Du kannst stolz sein auf das, was du in den letzten Monaten für dich erreicht hast.
      Viele liebe Grüße
      Elmar

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